Direkt zum Inhalt

Blockchains im Tourismus

Titelbild
Im Tourismus gibt es zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für Blockchains. Prof. Dr. Horst Treiblmaier erklärt, was Blockchains sind und wie sie bereits erfolgreich eingesetzt werden.

TTR: Was genau ist eine Blockchain?

Prof. Dr. Horst Treiblmaier: Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, da sehr viele unterschiedliche Typen von Blockchains existieren. Grundsätzlich handelt es sich dabei um ein Art der Speicherung von Daten, bei der neue Daten immer an die bestehende Kette von Transaktionen angehängt werden. Zudem werden die Daten verteilt und somit redundant auf verschiedenen Rechnern gespeichert. Dadurch erzielt man zahlreiche erwünschte Eigenschaften. So sind beispielsweise die Daten unveränderlich, da ein einzelner Rechner keine nachträglichen Änderungen herbeiführen kann. Andere vorteilhafte Eigenschaften sind beispielsweise der gemeinsame Zugriff auf den geteilten Datensatz und erhöhte Datensicherheit. Allerdings möchte ich besonders darauf hinweisen, dass es die eine Blockchain gar nicht so gibt, sondern lediglich verschiedene Implementierungen mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Sie können sich das so vorstellen wie bei Autos. Da gibt es verschiedene Typen mit unterschiedlichen Größen, Motorstärken, Benzinverbrauch und so weiter. Das perfekte Auto gibt es nicht, aber sie werden vermutlich ein Fahrzeug finden, das für ihren spezifischen Anwendungszweck gut geeignet ist.

TTR: Wofür kann diese im Tourismus sinnvoll eingesetzt werden und welche aktuellen Beispiele gibt es bereits in der Branche?

Prof. Dr. Horst Treiblmaier: Die von mir eingangs gegebene Beschreibung einer Blockchain wirkt vermutlich ein wenig abstrakt und unspektakulär. Umso erstaunlicher ist, welche neuartigen Anwendungsfälle sich darauf aufbauen lassen. Hier muss ich zunächst noch erwähnen, dass zahlreiche Blockchains auch den Einsatz sogenannter Smart Contracts ermöglichen. Das sind relativ kurze Programme, die bei Eintritt bestimmter Bedingungen zuverlässig die jeweils gleichen Ergebnisse liefern. Das ist so ähnlich wie bei einem Automaten: Sie werfen eine Münze ein und bekommen das gewünschte Produkt, ohne dass dafür komplizierte Verhandlungen mit einer dritten Person notwendig wären. Im Tourismus gibt es natürlich zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten, wenn es um Bezahlungen geht, da die erste online Anwendung der Blockchaintechnologie ja die Kryptowährung Bitcoin war. Genauso gut und einfach kann man mittlerweile alle Arten von Werten, online und offline, digitalisieren und in einem sogenannten Non Fungible Token (NFT) speichern. Dieser Token kann dann leicht ohne Intermediäre gehandelt werden. Stellen Sie sich einfach vor, sie „tokenisieren“ ein Hotelzimmer und übertragen die Nutzungsrechte für eine bestimmte Zeit direkt an einen Gast. Oder sie verkaufen bestimmte Dienstleistungen als Tokens. Für all jene, die NFTs selbst ausprobieren wollen, habe ich einen Anwendungsfall für das St. Anna Kinderspital in Wien erstellt, bei dem die gesamten Erlöse des Projekts direkt an das Spital gehen. Mein Anleitungsvideo dazu findet sich auf YouTube.

Wenn es um Disintermediation geht, so existieren bereits einige konkrete Anwendungsfälle. Die Buchungsplattform Webjet Limited erwarb beispielsweise vor einiger Zeit einen 25%igen Anteil am Start-Up LockTrip, das durch Einsatz von Blockchain die Transaktionskosten deutlich senken will. Den wohl radikalsten Ansatz in dieser Hinsicht findet man bei Winding Tree, einer Plattform, die AnbieterInnen von Tourismusleistungen direkt mit der Community verbinden will. Aber auch im Backend finden sich zahlreiche spannende Anwendungsmöglichkeiten. Heidiland, eine Schweizer Destinationsmanagement-Organisation (DMO), setzt beispielsweise eine Blockchain-Anwendung ein, um Kurtaxen automatisiert abzuführen, wodurch der Verwaltungsaufwand deutlich reduziert wird. Andere Möglichkeiten liegen im besseren Tracking von Gepäcksstücken oder auch TouristInnen unter Wahrung der Privatsphäre. Oder in der Erstellung umfassender Loyalitätsprogramme und glaubwürdiger Reviews. Ich habe einige dieser Anwendungsmöglichkeiten in einem Bericht für das Blockchain Research Institute zusammengefasst, der ab November 2022 frei im Internet verfügbar sein wird. Interessierte LeserInnen können sich auch direkt an mich wenden.

TTR: Welche zusätzlichen Anwendungsfelder könnten sich in der Zukunft für die Tourismus- und Freizeitwirtschaft ergeben?

Prof. Dr. Horst Treiblmaier: Auch für die zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten gilt, dass der Fantasie zunächst einmal keine Grenzen gesetzt sind. Was dann ökonomisch Sinn macht und regulatorisch auch durchführbar ist, muss sich erst weisen. Ich setze in der Zukunft sehr stark auf die von mir oben bereits erwähnten NFTs, die den einfachen Handel vor allem von Servicedienstleistungen ohne Intermediäre ermöglichen. Auch die Rolle des Metaverse wird vermutlich spannend werden. Virtuelle Trips bieten natürlich nicht das gleiche Erlebnis wie eine Reise in der physischen Welt, aber Tourismusunternehmen können im virtuellen Raum präsent sein, um ihre Angebote zu präsentieren. Zudem kann ich beispielsweise nach der Arbeit einen kurzen Shoppingtrip an einen Ort meiner Wahl unternehmen und meinen Tourguide für mich in verschiedenen Geschäften einkaufen lassen. Da sehe ich sehr viel Kernkompetenz bei Tourismusunternehmen, die sie nicht so einfach an Technologiegiganten abgeben sollten. Die Rolle der Blockchain im Metaverse kann vielfältig sein; angefangen von einfachen Bezahlungen mit Kryptowährungen bis hin zu virtuellen Welten, die von Communities geleitet werden und nicht zentral durch ein einzelnes Unternehmen. Aber in erster Linie geht es nun einmal darum, die konkreten Vorteile von Blockchain in relativ naheliegenden Anwendungsfällen, wie eben Buchungen, zu realisieren. Die ersten Schritte in die richtige Richtung sind getan, aber es steht noch viel Arbeit an, da sich dadurch ja nicht nur unternehmensinterne Prozesse, sondern auch gesamte Markstrukturen ändern.

Prof. Dr. Horst Treiblmaier

Prof. Dr. Horst Treiblmaier

Prof. Dr. Horst Treiblmaier ist Professor für internationales Management an der Modul University Vienna und Research Fellow am UCL Centre for Blockchain Technologies. Er ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen und war als Gastprofessor unter anderem an der University of California, Los Angeles (UCLA), University of British Columbia (UBC) und Purdue University tätig. Er erforscht die Auswirkungen von Blockchain auf Wirtschaft und Gesellschaft.

Titelbild von Pixabay

Datum: 19.07.22