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Die Welt steht Kopf - Teil 2

Wie ein Virus den Tourismus verändert
Cornona Krise Tourismus Innovation Inspiration Kreativität
Teil 2 unseres Beitrages beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Krise auf die Tourismus- und Freizeitwirtschaft.

Nachdem wir in Teil 1 allgemeine Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft beleuchtet haben, wollen wir uns in Teil 2 der Tourismus- und Freizeitwirtschaft widmen. Dass der Tourismus eine jener Branchen ist, welche die Krise wahrscheinlich am härtesten trifft, hat Roland Berger dokumentiert.  Und dass die Corona-Krise Disruption unmittelbar für uns alle spürbar macht ("vom Over-Tourism zum Zero-Tourism"), man darauf aber nicht re-aktiv sonder pro-aktiv reagieren muss, zeigt Andreas Reiter auf.

Wie reagiert nun der Tourismus auf die Krise?

Beginnen wir auf der internationalen Ebene. Die UNWTO als weltweite Tourismusorganisation hat zu einem Wettbewerb für Maßnahmen zur Eindämmung und Erholung der weltweiten Krise im Tourismus aufgerufen. Ganz nach dem Motto "We must support the sector now while we prepare for it to come back stronger and more sustainable" will die Organisation den Tourismus auf die Zeit danach vorbereiten. Es wurde die Kampagne #traveltomorrow gelauncht, um Ideen zu sammeln, wie wir in Zukunft reisen werden. Ebenso wurde eine Checkliste erstellt, um dem Sektor zu helfen, die Arbeitsplätze zu erhalten und die gefährdeten Unternehmen zu unterstützen. Zudem wurde ein UNWTO Tourism Dashboard etabliert, welches wichtige Tourismusindikatoren aufzeigt. 

Der Kontakt mit den Gästen ist jetzt wichtiger denn je. Die Österreich Werbung startete die Kampagne #wirsindtourismus, fokussiert sich mit ihren Austrian Home Stories auf virtuelle Erlebnisse und bietet damit Inspirationen für die nächsten Traumurlaube in Österreich, Kopfkino und Abenteuer von zu Hause, Quarantäne-Ideen für Kinder und bewirbt ebenso lokale Online-Shops. Neu ist zudem das ÖW Global Dashboard als Monitoring-Instrument mit tagesaktuellen Entwicklungen in den Quellmärkten. Anhand eines Ampelsystem werden verschiedenste Indikatoren übersichtlich darstellt. Ein ähnliches System gibt es auch in der Schweiz. Schweiz Tourismus setzt derzeit in einer ersten Phase kurzfristig auf Empathie mit #dreamnowtravellater. In einem zweiten Schritt will man mittelfristig mit dem Slogan #weneedswitzerland Aufmerksamkeit für das Land schaffen und in einem dritten Schritt mit #booknow den Tourismus langfristig wieder ankurbeln. Dieser Plan wurde Mitte April bei einem Recovery Talk vorgestellt. Auch Deutschland wirbt mit #SeeYouSoonBackInGermany. Weitere DMO Kommunikationsstrategien gegen die Krise hat das Walliser Tourismusobservatorium gesammelt. 

Die Tirol Werbung startete die Kampagne #mitabstandnah und versucht einerseits, Betriebe und Destinationen laufen mit den wichtigsten Informationen zu versorgen. Zudem wird der Kontakt zum Gast gehalten, indem man Tiroler Rezepte für zu Hause, Ausflugstipps für Tirol vom Sofa aus, virtuelle Rundgänge in Museen, speziell für Kinder Tirol zum Ausmalen oder Anreize zum Jodeln lernen bietet. Auch in Bayern versucht man, Gäste auf andere Gedanken zu bringen. Über eine neue Landingpage soll die Marke Bayern mit Emotionen aufgeladen werden. Gleichzeitig werden Partner in dieser Phase der Unsicherheit informiert.

Der Wilder Kaiser startete noch Ende März mit einer Umbuchungsgarantie für Gäste, über welche alle Reisen in die Region bis 1 Woche vor Anreise kostenlos umgebucht bzw. storniert werden können. Ziel ist es, ganz nach dem Motto #traveltomorrow den Urlaub zu einem späteren Termin anzutreten. Etwas ähnliches gibt es inzwischen auch im Kufsteinerland. Um aber auch den Tourismusbetrieben Sicherheit zu bieten, wird auch die Durchführung des Aktivprogramms im Sommer garantiert - auch wenn die Mindestteilnehmerzahl nicht erreicht werden sollte. Ebenso spielt das Innenmarketing inzwischen eine entscheidende Rolle, und so versucht man, die Betriebe laufend am aktuellen Stand zu halten. Unter dem Motto "Vorfreude schenken" können Gäste Gutscheine erwerben. Und auch hier wird Urlaub im Kopf auf Facebook oder Instagram geboten, regionale Rezepte oder Bastel-Anleitungen, wie man z.B. Klopapierrollen in einen "Wilder Kaiser Streichelzoo" verwandeln kann. Die Olympiaregion Seefeld organisiert eine #cleanupplateau Challenge, bei der jede/r Interessierte das Plateau von Abfall befreien kann und dabei ab 5kg gesammeltem Müll einen Gutschein für ein Schnitzel und Getränk bei Gastrobetrieben am Plateau bekommt. 

Weltweit wachsen so die Angebote an virtuellen Reiseerlebnissen. Museen wie das Belvedere bringen ihre Ausstellung zu den Menschen nach Hause. Viele Tourismusorganisationen inspirieren potentielle Gäste derzeit unter dem Hashtag #dreamnowvisitlater bzw. #dreamnowtravellater mit zukünftigen Reiseerlebnissen, so auch Schweiz Tourismus oder Visit Norway, die Urlaubsideen für "später" vermarkten. Die deutsche Variante davon findet sich in Baden-Württemberg mit dem Slogar Heute träumen, morgen reisen. Tourismuszukunft initiierte zudem die Social Media-Branchenkampagne #träumedeinereise, ebenso nach dem Motto "Jetzt träumen, später reisen“. Destinationen animieren so ihre Gäste zum Träumen und vermitteln, wenn schon keine physische, dann immerhin soziale Nähe (#usedomwartetaufeuch). Damit will man auf einer gemeinsamen Plattform für die Reisebranche Impulse für die Zeit nach Corona setzen. Auf Hoffnung setzt auch Visit Portugal mit der Kampagne #cantskiphope. In der Westschweiz können Gäste  analoge oder elektronische Postkarten mit Motiven von der Genferseeregion verschicken und sich gleichzeitig für den Newsletter registrieren. Zermatt schickt zudem einen Hoffnungsschimmer vom Matterhorn. Nachdem derzeit jeder von uns Videokonferenzen abhält, kann man sich auf der Seite von Vancourcer Tourism Zoom Hintergründe von der Stadt herunterladen. Auch das Streamen von Wildlife Safaris ist inzwischen möglich. Airbnb stellt  auf Online-Entdeckungen um. Die TUI Hotels unterhalten ihre ausbleibenden Gäste mit Fitness, Kochen und Sonnenuntergängen. Sehenswürdigkeiten wie der Alpenzoo haben einen Malwettbewerb für Kinder gestartet. Die "Einreichungen" werden dann zu einem späteren Zeitpunkt in einer Ausstellung zu sehen sein. Somit können auch digitale Kampagnen dann wieder in etwas Analoges zum Angreifen oder Anschauen umgewandelt werden. Und auch für den Zoo in Augsburg können Interessierte über eine Spendenaktion „Unterstützer-Tickets“ erwerben und so die Zoo-Lieblinge vor die Kamera bringen.

Dream now travel later Schweiz Tourismus Zermatt Matterhorn

Ähnlich wie in der Gesellschaft sehen wir auch im Tourismus immer mehr Solidarität. So bietet Sixt kostenloses Carsharing für Ärzte und Pflegepersonal in Deutschland an. Auch Indie Campers und Camperboys stellen ihre Campingbusse Krankenhäusern, Regierungen oder anderen öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung. Die Schweizer Destination Engelberg verlost 1.000 gratis Ferien für medizinisches Personal und möchte sich so bei ihnen für ihren unermüdlichen Einsatz bedanken. McDonald's Deutschland verleiht seine MitarbeiterInnen kurzerhand an ALDI. Ein Hotel in Deutschland bietet LKW-Fahrern eine kostenlose Dusche und einen Kaffee, da viele Raststätten geschlossen sind. Solidarität zeigen auch viele kleine Reiseveranstalter. Reisebüros mit Fokus auf Afrika haben sich zusammengetan, um auch die Reisedestinationen vor Ort zu unterstützen. Sie plädieren dafür, die Reise umzubuchen, statt zu stornieren. Und auch für die eingebrochene Gastronomie gibt es die Initiative „zum Wohle“. Namhafte Winzer, Spirituosenhersteller, Kaffeeröster und Safthersteller haben sich hier zusammengeschlossen und schließen ausgewählten österreichischen Top-Produkten zu einer neuen Marke zusammen. Der Verkaufserlös geht an die heimische Gastro-Szene. Und auch die Hogast startet nun mit der Aktion "Mitglieder helfen Mitgliedern" und versuchen damit, sinnvoll mit Restlagerbeständen umzugehen, welche die Liquidität belasten. 

Ungewissheit präft die Veranstaltungsbranche wohl ncoh für lange Zeit. Aber auch hier gibt es erste innovative Ansätze. In Saalbach-Hinterglemm wurden die White Pearl Mountain Days, welche normalerweise zum Frühlingsskilauf mit Top DJs stattfinden, kurzerhand als Virtual Sunset Sessions via Livestream veranstaltet. Das Ergebnis? Täglich mehrere tausend Zuseher und mehrere hundert Kommentare zu den Videos bei einem technische recht geringen Aufwand. Wichtig sei jedoch laut Organisatoren, keine werblichen Botschaften zu vermitteln. 

Destinationen und Tourismusbüros werden somit derzeit zu KrisenmanagerInnen nach außen, für die Gäste, denen man Hoffnung und die Lust zum Träumen und Reisen geben möchte, aber auch nach innen, in der Kommunikation mit den VermieterInnen und Partnern. Und teilweise übernehmen sie momentan auch die generelle Krisenkommunikation für die eigene Gemeinde und Region wie dieses Beispiel in der Schweiz zeigt.

Wie reagieren Gastronomie & Hotellerie auf die Krise?

Mitte März kam die Totalsperre für alle Gastro-Betriebe in Tirol. Das Angebot beschränkte sich somit auf Lieferservice. Neben den zwei bereits bestehenden Lieferfirmen Mjam und Lieferando wurden auch einige Einzelbetriebe kreativ und machten aus ihren KellnerInnen kurzerhand AusliefererInnen, wie z.B. der Burenwirt Express in Innsbruck. Dann kam es immerhin Anfang April zu einer ersten Lockerung, indem die Betriebe wieder take away anbieten durften und Gäste das Essen selbst im Lokal abholen durften. Ein Hotel im Harz bietet Gerichte im Glas zum selber aufwärmen an. Bestellt wird im Online-Shop und die Produkte werden im näheren Umfeld zugestellt, vor Ort abgeholt oder per Post verschickt.

Gutscheinsysteme gibt es inzwischen nicht nur für den lokalen Handel, sondern auch für Gastronomie und Hotellerie. So kann über Urlaubsfreunde Gutscheine für Hotels in Österreich und Südtirol erwerben, um die Betriebe zu stärken, Arbeitsplätze zu sichern und sich selbst auf den nächsten Urlaub freuen zu können. Die Achat Hotels bieten ihre leeren Hotelzimmer Einheimischen als Einzelbüros an, um den eigenen vier Wänden entfliehen zu können. Die Koncept Hotels mit Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz gehen einen anderen Weg und bieten Gästen eine Patenschaft für ein Hotelzimmer als Crowdfunding-Initiative an. Auch andere Unternehmen versuchen über Crowdfunding, ihre Liquidität kurz- oder mittelfristig zu sichern - so etwa ein Lokal in Berlin namens Rummel's Bucht oder das Immerland in Innsbruck. Andere nutzen die Zeit, um sich sozial zu engagieren, sich weiterzubilden oder den eigenen Internetauftritt zu aktualisieren, wie bei den Tiroler Privatzimmervermietern

Mit der Frage der MitarbeiterInnen beschäftigt sich das Projekt Coronajobs.tirol. Dieses Projekt ist Teil des EU- Leader Projektes „Recruiting am Wilden Kaiser“ und versucht, für die Zeit nach der Krise Fachkräfte für den Tiroler Tourismus zu finden. Dass der Fokus auf die MitarbeiterInnen gerade jetzt entscheidend sei, sieht Matthias Winkler, Geschäftsführer der Sacher Hotels, als Chance. „Mitarbeiter, die während der Krise durch ihre Arbeitgeber bestmöglich unterstützt wurden, sind loyaler als je zuvor.“

Welche Tipps geben Tourismusberater?

Auch viele Tourismusconsulting Firmen geben derzeit Tipps, um durch die Krise zu kommen. So plädiert Andreas Braun, Geschäftsführer der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg, auf dem Kohl & Partner Blog dafür, derzeit Sehnsüchte zu wecken, Erinnerungen wachzuhalten, Bilder zu posten und zu teilen, zusammenzuhalten und die Leistungsträger zu unterstützen. Ebenso wichtig ist es auch, in der Krise als UnternehmerIn auf sich zu schauen. Unter dem Hashtag #tourismlooksforward zeigt Kohl & Partner Gefahren, aber auch Maßnahmen für die Krise auf. Weitere Tipps kommen von St. Elmo'sAdditive+ oder Tourismuszukunft mit ihrer Corona Roadmap bzw. ihren Zukunftstagen für Destinationen. Einen interessanten Ansatz bietet auch die Salzburger Online-Marketingagentur NCM. Sie bietet Hotels Agenturleistungen gegen Zimmernächte auf Gutscheinbasis an. #conoswirktweiter gibt Tipps, wie man diese Zeit jetzt sinnvoll für die Zeit danach nutzen kann, wie Führungskompetenz derzeit aussehen sollte und wie sie mit ihren Gästen in Kontakt bleiben können. Und das Zukunftsinstitut hat aufgrund der Krise seinen Trend Canvas adaptiert. 

Doch wie wird es weiter gehen mit dem Tourismus generell und speziell in Tirol?

So genau sagen, kann das derzeit noch niemand. Starten wir wieder auf der internationalen Ebene. Die UNWTO rechnet für das Jahr 2020 mit einem Rückgang des internationalen Tourismus, sprich allen Reisen, wo nationale Grenzen überquert werden, von 20-30%. Im Vergleich dazu lagen die Einbrüche aufgrund der Finanzkrise 2009 nur bei 4% bzw. aufgrund des SARS Ausbruch 2003 bei 0,4%. Damit wird das weltweite Ausmaß dieser Krise für den Tourismus sichtbar. Wie Prof. Dr. Christian Laesser von der Universität St. Gallen in einem Interview mit der NZZ bemerkte, ist dies wahrscheinlich die größte Krise, die der Tourismus seit Beginn des Massentourismus in den 1950er Jahren erlebt hat. Laut seinen Einschätzungen wird es interkontinentale Reisen erst wieder im Jahr 2021 geben. Auch wenn der weltweite Tourismus derzeit faktisch lahmgelegt ist, weist er darauf hin, dass es sich um ein temporäres Phänomen handelt. Anders als bei anderen bisherigen Krisen, betrifft es aber nicht nur eine Region wie bei 9/11, den Einschränkungen des transatlantischen Flugverkehrs durch den Ausbruch des isländischen Vulkans oder dem Tsunami im Pazifik. Auf der anderen Seite ist die Nachfrage nach wie vor vorhanden und daher wird sich auch der Tourismus früher oder später wieder von dieser Krise erholen. So ruft auch ruft der Generalsekretär der UNWTO, Zurab Pololikashvili, in einer Video-Ansprache zu Solidarität, einer gemeinsamen Strategie und Zusammenarbeit auf und ist sich sicher, dass der Tourismus wieder stark zurückkommen wird.

Viele Experten sind sich darin einige, dass sich der Tourismus in einem ersten Schritt rein auf den Inlandsmarkt konzentrieren wird - sei es aufgrund von Reisebeschränkungen, aus Sicherheitsüberlegungen oder solidarischen Motiven. Reisen innerhalb Europas werden erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder anlaufen, je nachdem wann hier Grenzen wieder aufgehen. Und so gibt es in der Zwischenzeit ja auch einen Lichtblick mit Mitte Mai, wo voraussichtlich eine erste Öffnung von Gastronomie, Hotellerie und Museen stattfinden könnte. Auch die Tourismusministerin Elisabeth Köstinger ruft die ÖsterreicherInnen dazu auf, den kommenden Sommerurlaub im eigenen Land zu verbringen. Betrachtet man die Sommersaison 2019, so machte der Inlandstourismus in Österreich aber nur knapp ein Drittel der Gäste und Übernachtungen aus. Und so könnte jetzt auch die Grenze nach Deutschland für den Sommer vielleicht geöffnet werden. Landeshauptmann Günther Platter meinte zudem, dass man die Sommersaison noch nicht aufgeben wolle in Tirol. Der Obmann der Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft, Josef Hackl hofft , dass "sich unser Tourismus doch schneller wieder erholen wird als von vielen Experten vorausgesagt wird". Es sei jedoch derzeit schwierig, zu planen. Wie es derzeit aussieht, werden wir von einem lokalen Ausflugstourismus, über den Nahurlaub irgendwann wieder zur Fernreise kommen. Unterschiedliche Szenarien gibt es auch für die Zukunft der Luftfahrt. Wie physical distancing in der Flugbranche aussehen könnte, zeigt schon mal die US-Airline Delta. Und auch die Lufthansa hat inzwischen erste Maßnahmen beschlossen. 

Zudem ist Tourismus nicht gleich Tourismus. Während sich Einzelobjekte gerade zu Beginn nach der Öffnung leichter tun werden, Gäste zu empfangen, wird dies für größere Objekte weitaus schwieriger werden. Erholungstourismus in der Natur wird einfacher zu realisieren sein als Städtetourismus, MICE oder generell Veranstaltungen. Die individuelle PKW-Anreise wird an Bedeutung gewinnen. 

Was sich zeigt, ist die Tatsache, dass das Problem langfristig gesehen nicht ein Nachfrage-, sondern ein Angebotsproblem sein wird. Menschen wollen - gerade nach Zeiten der Quarantäne - reisen. Auch wenn wir uns derzeit an vielen virtuellen Möglichkeiten erfreuen, ersetzen diese das Reisen an sich keineswegs. Prof. Dr. Chrstian Laesser sieht den Menschen als multisensorisches Wesen und neben dem derzeitig überwiegenden Sehen und Hören fehlt uns das "Spüren des Gegenübers, die direkt erlebbare Empathie und die Authentizität der Begegnung". Zudem glaubt er nicht, dass Reisen teurer werden wird, da der globale Wettbewerb weiterhin besteht. 

Und werden KonsumtenInnen zukünftig verstärkt nachhaltige Reisen nachfragen? Bzw. sich Betriebe und Destinationen nachhaltiger neu erfinden? Davon ist Christian Hlade von Weltweitwandern überzeugt und zeigt zudem anhand seiner eigenen Geschichte auf, wieso es derzeit wichtig ist, ein Leuchtturm zu sein, das Miteinander zu stärken und Hoffnung zu geben.

Die Frage ist jedoch, in welchem geographischen Ausmaß Reisen wann wieder möglich sein wird (siehe ÖW Global Dashboard). Wie wird das Einreiseprozedere aussehen? Werde ich einen Bluttest abgeben müssen, bevor ich überhaupt in ein Flugzeug einsteigen darf? Welche Schutzkleidung bräuchten Airline-Crews? Wie könnten Busreisen realistisch werden? Welche Hygiene-Richtlinien könnte es für touristische Betriebe geben (dazu gibt es jetzt erste Überlegungen in Tirol)? Wie sieht es mit dem Fachkräftemangel aus in Zeiten, wo wir vielleicht nur bedingt ausländisches Personal bekommen können? Wie können Sicherheitsabstände bei Attraktionen, in Seilbahnen oder an Stränden eingehalten werden (hier erste Ideen aus Spanien oder Italien)? Wie geht man mit Buffets in Hotels um? Auf all diese Fragen gibt es derzeit erst sehr vage Antworten. Der Deutsche Tourismusverband hat Perspektiven für einen kontrollierten Neustart des Deutschlandtourismus formuliert. Auch die Campingwirtschaft hat sich für eine schrittweise Öffnung von Campingplätzen bereits Gedanken gemacht.

Trotz aller negativer Folgen, zeigt sich aber, dass die Krise die Solidarität, die Kreativität, die Flexibilität und die Frage nach mehr lokalem Angebot hervorgebracht hat. Zudem ist sie wahrscheinlich der wichtigste Treiber für die Digitalisierung, wie man es derzeit beispielsweise bei der Installation von Homeoffice, der Zunahme von Videokonferenzen, der Umstellung auf Online-Lehre, digitalen Services im öffentlichen Bereich, dem Zuwachs an Online-Shops oder Angeboten in der virtuellen Welten sieht. Für die Zukunft rät Prof. Dr. Christian Laesser, Angebote für gestresste Familien, Wellness-Tage für Freundinnen sowie ICH-Angebote zu schnüren, damit sich die Menschen von der Krise erholen können. Der die Menschen wollen nach wie vor Reisen und damit besteht auch die Hoffnung, dass der Tourismus recht schnell wieder anlaufen könnte. Andreas Reiter plädiert für soziale Innovationen und ist der Meinung, dass lokal wieder vor global gestellt werde muss. Ebenso spricht er von der strategischen Dreifaltigkeit, die jetzt angesagt ist: Leadership, Empathie & Empowerment. Die kommunikative Empathie beschränkt sich dabei nicht nur nach außen auf die Gäste, sondern sollte auch nach innen gerichtet sein an MitarbeiterInnen, Einheimische und Stakeholder. Zudem prägt er den Begriff Balanced Tourism, ein Tourismus mit mehr Ausgewogenheit, einem Co-Living von High Tech & Natur, Organisationen & Ressourcen, Mitarbeiter & Gäste, Einheimische & Touristen. Christian Fohrmann von Alpinmarketing fordert mehr Early Adopters und Innovationen, um den Weg zurück in die Zukunft zu schaffen. Denn es wird keine Welt NACH Corona geben, wie Matthias Horx geschrieben hat, sondern nur eine Welt MIT Corona. Und es wäre wichtig, dass wir aus der Krise lernen und uns weiterzuentwickeln. Denn "die Fortschreibung der Vergangenheit ist nicht unsere Zukunft" (Willy Brandt). Oder wie Reinhard Lanner anmerkt, wäre es sinnvoll, in Zukunft eine "Mischung beider Welten (der analogen und der digitalen) zu konzipieren und reflektieren, welches Kommunikations-Instrument für welche Situation einen Mehrwert darstellt." Und in der Zwischenzeit lautet die Devise, vom Panik- in den Kreativitätsmodus zu schalten, wie Stephan Roemer von Tourasia es benannt hat. Wir hoffen, dass ihnen dieser Beitrag vielleicht die eine oder andere Idee oder Inspiration geliefert hat, diesen Schritt zu gehen. 

Und by the way, wir stellen hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aber sollten sie selbst auf spannende Entwicklungen stoßen oder selbst gerade daran arbeiten, können Sie uns gerne davon erzählen :)

Titelbild by Patrick Boucher on Unsplash

Dr. Birgit Bosio

Forschungsschwerpunkt
Tourismustrends, Service Design, Customer Experience, Alpiner Tourismus, Nachhaltigkeit & Tourismus
Position bzw. Aufgabe
Hochschullektorin

Birgit Bosio hat den ersten Diplomjahrgang des MCI Tourismus absolviert und anschließend zwei Jahre in der Marktforschung der Tiroler Werbung gearbeitet. Gemeinsam mit Hubert Siller (MCI) und Michael Brandl (ehemals TW) zeichnet sie für die Entstehung des TTR verantwortlich. 2016 hat sie an der Universität Salzburg promoviert.

“Die Arbeit mit dem TTR ist spannend, da man sich täglich mit neuen Entwicklungen & Trends beschäftigen und ständig am Ball bleiben muss. Gleichzeitig stellt es aber dauernd eine Herausforderung dar, dem Nutzer diese Informationen kundengerecht und in der richtigen Dosis interessant aufzubereiten.”

Im TTR Team seit: November 2006

Zuständig für: Strategie & Konzeption, Tourismusforschung, Content Management, Social Media